Am 4. September 1863 wurde Carl Marschütz geboren. Nach der Schule machte er eine Kaufmannslehre in der Eisenwahrenhandlung
und Kochherdfabrik von Josef Goldschmidt (Bild 1). Der junge Marschütz war begeistert von der Entwicklung des Velocipeds, was eine
Weiterentwicklung der Laufmaschine des Freiherrn Karl Friedrich Drais von Sauerbronn (Bilder 2 + 3), darstellte. Er träumte davon solch ein
Gerät selber zu besitzen. Nachdem man als Lehrling kein oder nur wenig Geld hatte, konstruierte er sich sein Fahrzeug selbst.
Drei Handwerker in Neumarkt verwirklichten seine Konstruktion, die aus einem Holzrahmen mit eisenbeschlagenen Holzspeichenrädern
bestand. Als Antrieb dienten zwei Pedale, die am Vorderrad angebracht waren.
Die Marschütz'sche Konstruktion erfuhr kurze Zeit später einige Verbesserungen, die sich der Konstrukteur einem Englischen
Velozipedkatalog „entlieh".
Im Jahre 1880 verursachte ein Englischer Velozipist großes Aufsehen, als er sich im Gasthaus „Zur Goldenen Gans" stärkte. Sein
Hochrad hatte er vor dem Lokal abgestellt. Eine Menge Schaulustige versammelten sich um die Fahrmaschine, darunter natürlich auch
Carl Marschütz. Dieser fachsimpelte natürlich sofort mit dem Engländer, der auf einer Europareise war, über das Velo. Er rang ihm
sogar die Erlaubnis für eine Probefahrt ab, was aber an der Länge seiner Beine scheiterte, die nämlich waren zu kurz.
1882 lernte Carl über seinen Chef Josef Goldschmidt einen Gleichgesinnten kennen. Eduard Pirzner, ansässig in Nürnberg. Dieser fertigte
in Kleinserie Hochräder aus englischen Einzelteilen. Für eine Produktion im großen Stil fehlten natürlich die finanziellen Mittel.
Die Finanzfrage konnte mit Hilfe von Josef Goldschmidt geklärt werden. Dieser wagte das Risiko, Zweiräder zu produzieren. Am 12. Januar
1884 wurde die Velozipedfabrik „Goldschmidt & Pirzer" gegründet.
Carl Marschütz übernahm zunächst die Filiale in Nürnberg, trennte sich aber schon 1886 von der Firma und gründete die Velozipedfabrik
„Carl Marschütz & Co." aus welcher später die Hercules-Werke AG hervorging.
Da damals im Zweiradsektor England der Inbegriff für Qualität war, wurden nicht nur original englische Teile verbaut, sondern auch sechs
Arbeiter wurden aus England ins Land geholt.
1887 beschäftigte die Firma schon ca. 120 Mitarbeiter. Die Zwei- und Dreiräder wurden nicht nur im Inland verkauft, sondern auch bis nach
Kalifornien und Südamerika exportiert.
Im Dezember 1887 verließ auch Eduard Pirzer die Firma, welche dann unter dem Namen „Velociped-Fabrik Neumarkt Gebrüder Goldschmidt"
firmierte.
1888 brach in der Produktionshalle ein Feuer aus, welches die Produktion zunächst lahm legte. Erst 1889 konnte die Velozipedfertigung in
einer neuen Werkhalle mit 150 Arbeitern wieder aufgenommen werden.
Nach dem Tod von Josef Goldschmidt teilten die Brüder Joseph (Bild 4) und Adolf die Firma untereinander auf. Adolf Goldschmidt bekam die Kochherdfabrik. Joseph
führte fortan die Velozipedfabrik.
Nach dem Tod von Joseph 1896 übernahm sein Sohn Jacob und dessen Witwe Berta Goldschmidt die Firma.
Nach der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft verkauften Berta und Jacob den Grundbesitz, die Immobilien und die Produktionsanlagen an
die Gesellschaft. Dadurch änderte sich der Name in „Express-Fahrradwerke, Aktiengesellschaft vorm. Velocipedfabrik Neumarkt". Jacob
Goldschmidt wurde Direktor der neugegründeten Gesellschaft.
1897 konnten schon 175 Arbeiter beschäftigt und ca. 3500 Fahrzeuge hergestellt werden.
Mit dem Jahrhundertwechsel verschlechterte sich die Lage im Zweiradsektor und läutete die Zweiradkrise in Deutschland ein. Durch die
Einführung neuer Produkte versuchte die Geschäftsleitung die Umsatzeinbußen auszugleichen, auch an der Produktion von Motor-Fahrzeugen
wurde gearbeitet.
1900 war die Belegschaft auf 80 Beschäftigte und ca. 3000 Fahrzeuge zusammengeschmolzen, 1901 wurden gar nur noch 600 Fahrzeuge hergestellt.
Am 29. März 1901 wurde die Firma in „Express-Fahrradwerke AG" umgetauft.
Die Produktpalette der Motor-Fahrzeuge umfaßte dann Motordreiräder und kleine vierrädrige Motorwagen. Als Motor wurden anfangs französische
Motoren verwendet. Später baute Express eigene Antriebsagregate, mit 4,5 und 8 HP, und erweiterte 1902 die Produktpalette um Motor-Fahrräder,
Personenwagen und Lastkraftwagen.
Durch den Kauf der Berliner „Vulkan-Automobilgesellschaft" konnte Express nun auch Elektromobile anbieten, welche auch in Berlin produziert
wurden.
Sogar ein Rennwagen zierte den Express-Fahrzeugbau.
1905 beschäftigte Express über 200 Mitarbeiter und produzierte fast 15000 Zweiräder.
Die Zweiradproduktion stieg weiterhin, so daß 1908 von 180 Arbeitern 16800 Zweiräder hergestellt wurden.
1912 begann Express mit der Produktion eines Militär-Fahrrades, welches zusammenlegbar und per Schulterriemen transportabel war. Express war ein Rüstungsbetrieb, der auch Kriegsgefangene beschäftigte.
Nach dem Ersten Weltkrieg herrschte Hungersnot verursacht durch extreme Versorgungsschwierigkeiten. Am 21. Januar 1918 änderte sich der
Firmenname ein weiteres mal in „Expresswerke AG in Neumarkt Opf. bei Nürnberg". 1919 begann dann langsam die Produktion wieder. Hauptsächlich
der Mangel an Fahrradreifen verhinderte eine Auslastung der Produktionsanlagen.
1930 wurde auch die Motorfahrzeugproduktion wieder aufgenommen, die 1907 wegen Verlustgeschäft eingestellt wurde. Der 74 ccm Einbaumotor von
Fichtel & Sachs wurde in einen modifizierten und verstärkten Fahrradrahmen eingebaut. Auch dessen Nachfolger mit 98 ccm wurde verbaut.
Die Typen SL 98 (Herrenausführung / Bild 5) und SDL 98 (Damenausführung) wurden, von Detailverbesserungen abgesehen, unverändert bis nach dem Zweiten Weltkrieg
hergestellt.
1934, ein Jahr nach der Machtergreifung Hitlers, brachte Express das „braune Rad" mit der Bezeichnung „SA" auf den Markt.
1935 wurde das Modell K100 / K120 (Bild 6) vorgestellt. Dieses hatte einen Kastenrahmen, welcher von der Firma Hecker bezogen wurde, und einen 98 ccm
Sachsmotor mit Kickstarter, wie ein „richtiges" Motorrad.
Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg stellte Express die „Saxonette" vor, welche einen 60
ccm Motor besaß, der ins Hinterrad eingespeicht war (Bild 7).
Bis zum Ausbruch des Krieges sollen 150000 Zweiräder die Expresshallen verlassen haben.
1939 waren ca. 240 Angestellte bei Express tätig.
Auch für den Zweiten Weltkrieg lieferte Express Fahrräder an das Militär. Auch in diesem Krieg wurde Express zum Rüstungsbetrieb und
beschäftigte Kriegsgefangene.
Nach dem Krieg kehrten viele ehemalige Mitarbeiter wieder an ihre alte Arbeitsstätte zurück, konnten aber keine Fahrzeuge herstellen, sondern
mußten Erstmal die Produktionsanlagen wieder aufbauen. Die Maschinen wurden wieder funktionsfähig gemacht und die Gebäude wieder aufgebaut.
Aus Altbeständen und Spaten des Arbeitsdienstes wurden vorübergehend Tabakschneidemaschinen und teilweise sogar elektrische Bügeleisen hergestellt.
Der Schwarzmarkt florierte.
1947 begann dann allmählich die Zweiradproduktion wieder, sofern Rohstoffe zur Verfügung standen. Ein Jahr später begann auch die Produktion von
Krafträdern wieder.
Auf der Frankfurter Leistungsschau 1950 war Express wieder mit einem eigenen Stand und der gesamten Produktpalette vertreten, welche neun
Fahrradmodelle, die Motorfahrräder SL und SDL sowie die Radex (Rad Express) 125 mit Jlo-Motor (Bild 8) beinhaltete. Der Arbeiterstamm war auf 300
Beschäftigte gestiegen.
1952 produzierte Express auch in der 200 und 250 ccm Klasse, um die Leistungslücke nach oben zu schließen.
Durch den in Frankreich beginnenden Moped Boom beflügelt beschloß die Chefetage die Konstruktion eines Mopeds mit eigenem Motor, um von den
Zulieferern unabhängig zu sein. Anfang 1953 begann die Produktion des Mopedmotors mit dem Typ M52 (Bild 9). Die Weiterentwicklung nannte sich M53 und
besaß nun ein Zweiganggetriebe. Der M54 verfügte später sogar über ein Dreiganggetriebe. Die Mopedproduktion lief so gut, daß 1953 die Nachfrage
nicht annähern befriedigt werden konnte. 1955 avancierte die Mopedproduktion zum Umsatzstärksten Posten. Ein Jahr später zeichnete sich aber schon
der Beginn der zweiten Zweiradkriese ab. Es wurde Kurzgearbeitet um Entlassungen zu vermeiden.
1956 gab der leitende Direktor Victor Lenz aus gesundheitlichen Gründen die Leitung der Firma an Georg Gutmann ab. Die Finanzielle Lage der
Expresswerke war schlecht, da in den Jahren zuvor zu optimistisch geplant wurde. 1957 mußte Express die Zahlungen einstellen. Das Unternehmen
hatte seine Kreditwürdigkeit verloren. Die Hauptaktionäre bemühten sich Investoren für das angeschlagene Werk zu finden. Es wurden Verhandlungen
mit Auto-Union in Ingolstadt und mit Victoria in Nürnberg geführt. 1958 wurde ein Teil der Belegschaft gekündigt. Georg Gutmann mißachtete, aus
welchen Gründen auch immer, den Sanierungsplan einer unabhängigen Beraterfirma, bis er vom Aufsichtsrat der Express Aktiengesellschaft fristlos
gekündigt wurde. Die Aktienmehrheit wechselte nun doch zu den Victoria-Werken.
1959 gab die Zweirad-Union, zu denen Express jetzt neben Victoria und DKW nun gehörte, bekannt, daß die Produktion von Neumarkt nach Nürnberg
verlegt würde. Ein Teil der Belegschaft, sowie die Produktionsanlagen wurden von der Firma Metzenauer übernommen. Der andere Teil der Belegschaft
wurde in Nürnberg weiterbeschäftigt. In Neumarkt wurden noch Restbestände von Express komplettiert. Nachdem Express wieder Verluste erwirtschaftete,
verkaufte die Geschäftsleitung die Zweiradfertigung, gegen Lizenzgebühr, vollends an die Zweirad-Union.
Am 30. September 1959 wurde dann die Produktion und der Verkauf von Zweirädern in Neumarkt endgültig eingestellt.